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Dialektologisches Informationssystem von Bayerisch-Schwaben (DIBS)

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Die Dialekte Bayerisch-Schwabens

Ein kleiner Überblick

In Bayerisch-Schwaben ist das älteste mit Namen bekannte Volk das der Kelten. Um die Zeitenwende wurde das Gebiet von den Römern besetzt, besiedelt und dem Römischen Reich einverleibt. Ungefähr 250 Jahre später nahmen alemannische Germanen das Gebiet nördlich der Donau in Besitz. Um 500 herum begann dann die germanische Besiedlung der Gebiete Bayerisch-Schwabens südlich der Donau.

In den Bezeichnungen für den Quark, dem Käse aus Sauermilch, kann man aus allen drei sprachgeschichtlichen Epochen noch Reste finden.

Im Allgäu bezeichnet man den Quark als Zieger. Das Wort stammt aus dem Keltischen, es ist wohl ein Relikt aus der Sprache der Urbevölkerung. Im Ries, das schon sehr früh, um 250 nach Christus, von Alemannen eingenommen wurde, hat sich trotzdem ein römisch/lateinisches Wort halten können:

Schotten aus excocta materia, ein Wort, das genauso wie Zieger ursprünglich den Käse der zweiten Scheidung (vergleichbar dem ricotta in Italien) bezeichnete. Im restlichen Gebiet sagt man Toppen/Topfen. Hier stand für die Benennung das Käseformgefäß Topf Pate.

Die Entstehung der heutigen Dialekte

Bei der Besiedelung des Gebietes südlich der Donau in der Zeit um und nach 500 nach Christus ist davon auszugehen, dass Sippen aus dem Norden oder Westen langsam in den Raum eingedrungen sind, um dort zu leben. Man muss annehmen, dass die eingewanderten Franken, Thüringer, Alemannen u. a. jeweils verschiedene Sprachformen mitgebracht hatten, die sich im Laufe der Zeit aneinander angeglichen haben. (Vergleichbar sind die Mischdialekte, die in neu gegründeten deutschen Dörfern des Habsburgerreiches auf dem Balkan entstanden sind.)

Die im heutigen altbairischen und heutigen schwäbischen Raum entstandenen althochdeutschen Sprachzeugnisse des 8. und 9. Jahrhunderts zeigen fast keine sprachlichen Unterschiede. Erst später erscheinen in der Schriftlichkeit Dialektunterschiede, die sich im Laufe des Mittelalters ausgebildet haben. Die Sesshaftigkeit und geringe Mobilität der agrarischen Bevölkerung sind die Ursache dafür.

Die Bezeichnungen Bairisch und Schwäbisch bzw. Alemannisch suggerieren Sprachunterschiede schon für die Frühzeit. Davon kann keine Rede sein.

Stellung der Dialekte Bayerisch-Schwabens

Die Karte oben zeigt, dass der Süden und die Mitte des ehemaligen deutschsprachigen Raumes von den hochdeutschen Dialekten eingenommen werden. Aus diesen ist, wie der Name schon sagt, die hochdeutsche Schriftsprache hervorgegangen.

Der Raum Bayerisch-Schwaben gehört zu einem Gebiet, das man „oberdeutsch” nennt.

Die deutschen Dialekte im Detail

Die Karte zeigt, dass im Südwesten Deutschlands alemannische Dialekte gesprochen werden, zu denen auch das Schwäbische gehört. Bayerisch-Schwaben nimmt dessen gesamten östlichen Raum ein. Deshalb nennt man die Dialekte hier auch „ostschwäbisch“. Der Süden und Westen des Allgäus gehört zum Niederalemannischen, das fast in der gesamten Schweiz und in Vorarlberg verbreitet ist.

Gliederung der Dialekte in Bayern

Innerhalb Bayerns nehmen die schwäbisch-alemannischen Dialekte den ganzen Südwesten ein. Auf der Karte sieht man, dass in Teilen Bayerisch-Schwabens auch nordbairisch und mittelbairisch gesprochen wird und dass der Lechrain ein Übergangsgebiet zwischen Schwäbisch und Mittelbairisch ist.

Gliederung der Dialekte in Bayerisch-Schwaben

Zoomt man noch etwas weiter in die Landschaft hinein und bezieht die Grenzen einiger typischer Spracheigenheiten mit ein, dann ergibt sich ein noch differenzierteres Bild. Im Norden ist ein Übergangsgebiet zum Fränkischen hin erkennbar, dann kommt nach Süden hin am nördlichen Lech eine sehr starke Grenze zum  Nord-und Mittelbairischen. Südlich von Augsburg fächert sich das alles dann auf und bildet eine breite Übergangszone mit einem allmählichen, stufenweisen Übergang vom (Ost-)Schwäbischen zum (Mittel-)Bairischen.

Probleme der Dialektabgrenzung und Gliederung

Beim linguistischen Laien überwiegt die Vorstellung, dass Dialekte in sich abgeschlossene Einheiten mit scharfen Außengrenzen sind. Dem entspricht die sprachliche Wirklichkeit keinesfalls. In der Sprachwissenschaft sind Begriffe wie „bairisch“ oder „schwäbisch“ im Prinzip Hilfskonstrukte, um verschiedene Ortsdialekte zusammenfassen und die Dialekte großflächiger bezeichnen zu können und dadurch besser handhabbar zu machen. Ihre Benennung ist mindestens ebenso stark historisch wie sprachlich motiviert. 

Die Übergänge zwischen den gesetzten, definierten Sprachgebieten gestalten sich in der Regel fließend, nicht abrupt. Die scharfe Grenze am Lech nördlich von Augsburg ist eine eher seltene Ausnahme. Dialekte gehen durch die Zu- oder Abnahme von für sie als charakteristisch angenommenen Merkmalen ineinander über, wobei diese Merkmale meist nur in Teilen eines Gebietes gelten oder aber noch weitere Gebiete einschließen können.

So ist das als schwäbisch geltende sch im Inlaut in Wörtern wie Gascht und Fescht (für „Gast“ und „Fest“) auch im westlichen Bairischen (in Pasing vor den Toren Münchens z. B. hat man früher so gesprochen) und umfasst den ganzen Südwesten bis nach Luxemburg. Aufgrund dieser sprachlichen Eigenheit bezeichneten früher die Giesinger im Osten Münchens die Schwabinger als „Schwaben“.

Dialektgliederung mittels dialektometrischer Faktorenanalyse

Ein neuerer Versuch, diesem Problem gerecht zu werden, ist eine zusammenfassende Analyse von fast 1700 Sprachkarten, die aus einem Projekt der Universitäten Ulm (Mathematik) und Augsburg (Sprachwissenschaft) auf der Basis der Karten des Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben hervorgegangen ist.

Die folgende Karte ist dabei entstanden. Sie umfasst leider nicht das ganze Allgäu. Sie reicht im Süden nur bis auf die Höhe von Kempten.

Orte mit vielen Gemeinsamkeiten haben die gleiche Farbe. Sie bildet einen Dialekt ab, in der Summe definieren gleich gefärbte Felder die Ausdehnung eines Dialekts. Je heller die Farbe ist, desto weniger häufig sind die Merkmale des von ihr definierten Dialekts. Wenn die Farbe umschlägt, dann dominieren die Merkmale des Nachbardialekts. Im Zentrum eines Gebietes sind die Farben immer intensiv, weil dort viele Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Im Prinzip werden nur Gemeinsamkeiten gezählt, also Kookkurenzen sprachlicher Merkmale.

Anteile quantitativ

Die Faktorenanalyse bietet auch die Möglichkeit, für jeden Ort einzeln darzustellen, wie viele Anteile er von welchem Dialektgebiet besitzt. Die Tortendiagramme stellen das sehr schön dar.

Für den Ort Graben auf dem Lechfeld ist der Anteil des Allgäuerischen mit 22 % der höchste, gefolgt vom Bereich Westliche Wälder, dem Mittelostschwäbischen, Nordostschwäbischen und Lechrainischen. Der Anteil des Mittelbairischen ist mit 2 % relativ gering.

Eine Auswertung von noch mehr Sprachkarten, insgesamt 2155 Karten, ergab die folgenden Dialektgebiete:

Übergänge quantitativ

Die folgende Grafik stellt den Anteil der verschiedenen Dialektgebiete von Erhebungsort zu Erhebungsort in seinem Verlauf in einer Linie dar, die von Westen nach Osten geht. Der westlichste Ort (Gundelfingen) liegt an der Donau, die Linie führt nördlich von Augsburg über den Lech. Während im Westen die nordostschwäbischen und mittelostschwäbischen Anteile überwiegen, sind es im Osten die mittelbairischen. In Lechhausen, einem Vorort von Augsburg, gibt es hohe städtische Prozentwerte, der Übergang zum Bairischen ist ziemlich abrupt, die mittelbairischen Anteile explodieren. Obwohl Lechhausen auf der östlichen, also bairischen Seite des Lechs liegt, hat es sich in den mehr als hundert Jahren seiner Zugehörigkeit zu Augsburg weitgehend der Stadt angeglichen.

Sprachgrenzen und Übergänge

Der Lech als Sprachgrenze

Der Lech ist vor allem zwischen Augsburg und seiner Mündung in die Donau eine der schärfsten Mundartscheiden im deutschen Sprachraum. Das war er nicht immer. Vor ca. 1200 Jahren, in althochdeutscher Zeit, gab es keine sprachlichen Unterschiede zwischen den Dörfern links und rechts des Flusses. Es gab auch keine Unterschiede in der volksmäßigen Herkunft. Auf beiden Seiten lebten die Nachfahren von aus dem Norden oder Westen eingewanderten Sippen, es gab sicher auch noch Reste von Romanen und eventuell sogar noch von Kelten.

Was noch dazu kommt: Die rechte Lechseite wurde von Westen her, also von der linken Flussseite besiedelt. Das haben Archäologen aufgrund der Untersuchung von Beigaben in Reihengräbern für das Gebiet nördlich von Augsburg feststellen können. Auch sonst ist es bis heute nicht gelungen, archäologisch relevante Unterschiede von Alemannen und Baiern in der Frühzeit (6./7. Jahrhundert) zu erkennen. Beide gehören zu einer Gruppe, die man als „westlich-merowingischen Kreis“ bezeichnet, zu dem auch die Franken zählen.

Augsburg war in der Römerzeit Hauptstadt der Provinz Raetien. Das Bistum Augsburg reicht weit über den Lech. Diese Grenze ist sicher sehr alt und zeugt davon, dass der Lech damals noch kein Grenzfluss im Bereich der Sprache gewesen ist.

Später war der Lech aber mindestens 1000 Jahre lang eine politische Grenze, an der sich ein einheitliches Territorium im Osten und ein politisch zersplitterter Westen gegenüberstanden. Diese politische Grenze wurde auch zur Verkehrsgrenze, weil die Territorien versuchten, Untertanen und Kapital im Land zu halten. Das heißt, sie bemühten sich, Abwanderungen zu verhindern und den Handel im eigenen Territorium stattfinden zu lassen. Das vermindert den Kontakt über die Territorialgrenzen hinweg auf ein Minimum. Wenn solch eine politische Grenze über Jahrhunderte hin stabil ist, dann ist das die beste Voraussetzung dafür, dass kein sprachlicher Ausgleich mehr mit den Nachbarn stattfindet. Die Dörfer links und rechts des Lechs werden sich fremd, Vorurteile werden aufgebaut und eine Bewusstseinsgrenze entsteht. Verstärkend zur politischen Grenze kommt hinzu, dass zusätzlich noch eine natürliche Grenze vorhanden ist: breite Ödlandstreifen und Auenwälder, wo keine stabilen Straßen anzulegen waren, weil regelmäßige Überschwemmungen des Lechs das verhinderten.

Die sogenannte Dreistammesecke

Im Norden befindet sich am Hahnenkamm zwischen Oettingen und Treuchtlingen die sogenannte Dreistammesecke. Hier stoßen das Fränkische (von Norden), das Bairische (von Osten) und das Schwäbische (von Süden) aufeinander. Sie trägt, wenn man die oben beschriebenen Fakten über die frühmittelalterlichen Sprachverhältnisse und die fehlende kulturelle Unterscheidbarkeit im archäologischen Befund einbezieht, ihren Namen zu Unrecht. Nicht etwa einwandernde Stämme trafen dort aufeinander, sondern sich allmählich in die Wälder (Hahnenkamm) hineinrodende Verkehrsgemeinschaften, die sich Franken, Baiern und Schwaben nannten und als solche einigermaßen stabile Gruppen bildeten.

Der Lechrain

Südlich von Augsburg fächert sich das Sprachgrenzbündel auf und bildet einen nicht mehr so schroffen Übergang. Im Süden konnte sich im „Windschatten“ von Ammersee und Starnberger See sowie von kontakthemmenden Moorlandschaften nördlich des Ammersees manche Neuerung, die von Osten, die Donaustraße herauf, vom innerbairischen Raum kam, nicht durchsetzen. So entstand der Lechrain als Sprachlandschaft mit vielen nur dort vorhandenen sprachlichen Eigenheiten.

Dialekte, Umgangssprachen und Hochsprache

Diese drei Termini beschreiben drei voneinander nur sehr schwer abgrenzbare Sprachformen. Während sich die beiden entgegengesetzten Pole Dialekt und Hochsprache eher fassen lassen, ist das bei dem, was man Umgangssprache nennt, nicht der Fall. Als Dialekt tritt in den Artikeln des Wörterbuchs jene Sprachform auf, die im Rahmen der Materialsammlung als solcher bestimmt wurde. In der Regel ist es die standardfernste und regional kleinräumigste Sprachform, die eine Person verwendet. Es ist z.B. auch die Form, die bei Befragungen zum Bayerischen Sprachatlas in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts von der älteren Generation noch erfragt werden konnte.

Außerhalb der Sprachwissenschaft ist es in den letzten Jahrzehnten üblich geworden, jede Form erkennbar regionalen Sprechens, die nicht norddeutsch ist, als Dialekt zu bezeichnen. Das trug zur Diskriminierung und Stigmatisierung auch dieser großräumigeren Idiome bei, weil die Vorurteile, die man gegenüber Dialekten hatte, auf diese einst als neutral, als normal angesehenen mehr oder weniger regional geprägten Sprachformen und ihre Sprecher übertragen wurde.

Diese Umgangssprachen sind zwischen Dialekt und Hochsprache angesiedelt. Man darf sie sich aber nicht als einheitliche, feste, starre Sprachformen vorstellen. Zudem versteht man unter ihnen im Süden und in der Mitte etwas anderes als im Norden.

In der Mitte und im Süden Deutschlands bezeichnet der Begriff Umgangssprache eine zwischen den Dialekten und der Hochsprache stehende Zwischenschicht, relativ uneinheitlich und ohne feste Norm. Sie hat viele Übergangsformen, die häufig interpretierbar sind als Tendenz der Sprecher, in bestimmten Situationen Formen zu verwenden, die der Standardsprache näherstehen als den Dialekten. Man kann diese Zwischenschicht auch als dialektale Stufenleiter beschreiben, die von der Grundmundart ausgeht und sich je nach Sprechsituation in mehr oder weniger großen Stufen in Richtung Standardsprache bewegt. Diese zwischen Grundmundart und Standardsprache vorkommenden sprachlichen Formen sind nicht beliebig kombinierbar, bestimmte Merkmale kommen nur miteinander vor, es besteht aber eine hohe Variabilität.

Im Norden wird unter Umgangssprache eine stilistisch niedrigere, „lässigere“, gleichsam abgesunkene Form der Standardsprache verstanden. Sie ist vom Schriftdeutschen abgeleitet, nicht von den Mundarten wie im Süden und der Mitte.

Das Sprachspektrum in Nord und Süd

Dieses Modell stellt dar, dass die tatsächlich gesprochene Standardsprache (am rechten Rand) nur wenig regional geprägt ist. Sie beeinflusst aber in hohem Maß die regionalen Umgangssprachen. Diese weisen wiederum größere regionale Unterschiede auf, besonders in der Mitte und im Süden, aber bei weitem nicht so viele wie die Dialekte, die relativ kleinräumig gegliedert sind. Die Dialekte haben deshalb die geringste kommunikative Reichweite, in geografischer Hinsicht ebenso wie in sozialer.

Die alten Dialekte im Norden (Platt) sind wegen einer ganz anderen Konsonantenstruktur sehr viel weiter von der Hochsprache entfernt als die im Süden. Die strukturellen Unterschiede sind so groß, dass keine dialektale Stufenleiter entstehen konnte.

Die Zukunft unserer Dialekte

Heutzutage ist die Anzahl der Situationen, in denen der Dialekt die angemessene Sprachform ist, weitaus geringer als jene, die mit der Umgangssprache oder dem Standard bewältigt werden. Deshalb ist die Beherrschung „höherer“ Sprachformen Voraussetzung für jeden sozialen Aufstieg. Dialekte gelten als „Karrierebremse“, ihre Sprecher werden als weniger kompetent angesehen. Die Beherrschung eines Dialekts bietet in der Auffassung breiter Teile der Bevölkerung keinen Mehrwert. Deshalb spricht ein Großteil der Eltern mit ihren Kindern nicht mehr Dialekt, in der Stadt noch weniger als auf dem Land. Dialekt wird mit dem Bild der Lederhose assoziiert, die Hochsprache mit dem Laptop.

Während vor dreißig Jahren die Dialekte zugunsten von umgangssprachlichen, aber immer noch regional geprägten Formen aufgegeben wurden, ist heute die Situation anders: Die Jugend wechselt gleich in einen norddeutsch geprägten Standard, der in Rundfunk und Fernsehen allgegenwärtig ist.

Literatur

Auswahl

Werner König, dtv-Atlas Deutsche Sprache, 17. Auflage, München 2011, S. 230 f

Manfred Renn und Werner König, Kleiner Bayerischer Sprachatlas, 3. Auflage, München 2009

Werner König und Manfred Renn, Kleiner Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben, 3. Auflage, Augsburg 2017

Simon Pröll, Raumvariation zwischen Muster und Zufall. Geostatistische Analysen am Beispiel des Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 160,  Beiheft, Stuttgart 2015

Werner König, Großmundarträume und Dialektgrenzen, in: Historischer Atlas von Bayerisch Schwaben, 2. Auflage 1982ff., Karte XIII,1

https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Alemannisch-Schwaebische Dialekte in Bayern